Tutorium IBIS – nutzerzentrierter Entwicklungsprozess

Sonntag, 31.8.2014, 9:00 – 12:30
Titel: Intuitiver, kreativer, innovativer. Mit „IBIS“ zum gelungenen (Re-)Design
Von: Hartmut Schmitt, HK Business Solutions GmbH und Steffen Hess, Fraunhofer IESE sowie Jörn Hurtienne Universität Würzburg

Im Tutorial wird die sogenannte IBIS-Methode vorgestellt, die die Entwicklung kreativer, innovativer und zugleich intuitiv benutzbarer Benutzungsschnittstellen unterstützt. Die TeilnehmerInnen des Tutorials führen Kernaktivitäten der Methode unter Anleitung durch und stellen sich die erstellten Konzepte gegenseitig vor. Das Tutorial richtet sich an BesucherInnen, die sich mit der Gestaltung und Evaluation von Benutzungsschnittstellen beschäftigen.

Herausforderung und Lösungsweg

Für die Gestaltung einer Benutzungsschnittstelle ist es oftmals nicht ausreichend, bereits bestehende Interaktionskonzepte zu kopieren. Erfolgreich am Markt sind vor allem innovative und kreative Lösungen, die trotz ihrer Neuartigkeit einen intuitiven Zugang zur Technik bzw. zum Produkt ermöglichen. Die im Tutorial vorgestellte IBIS-Methode beschreibt einen nutzerzentrierten Entwicklungsprozess, der um ein Vorgehen erweitert wurde, das es erlaubt, bereits in einer frühen Phase des Softwareentwicklungsprozesses Alltagserfahrungen der zukünftigen Nutzer zu identifizieren und diese in die Gestaltung der Benutzungsschnittstelle einfließen zu lassen. Mit Hilfe sogenannter Image Schemata wird das Ableiten von kreativen, innovativen und intuitiven Gestaltungslösungen erleichtert und der benutzerzentrierte Entwicklungsprozess somit verbessert. Image Schemata sind Bausteine wiederkehrender fundamentaler Erfahrungen, die Menschen im Alltag machen und unbewusst verarbeiten (Johnson 1987). Erfahrungen wie das Füllen eines Glases mit Wasser oder das Stapeln von Büchern verdichten sich beispielsweise zu einer abstrakten, analogen Gedächtnisrepräsentation, die UP–DOWN (Oben–Unten) genannt werden kann. Das Image Schema UP–DOWN beschreibt eine räumlich vertikal ausgerichtete Dimension und bündelt Erfahrungen aller Art mit vertikalen Anordnungen. Image Schemata bilden auch die Grundlage zum Verständnis abstrakter Konzepte. Das abstrakte Konzept der Quantität wird beispielsweise auf dem räumlichen Kontinuum des Image Schemas UP–DOWN wahrgenommen. Diese Abbildung abstrakter Konzepte mit (physischen) Image Schemata wird als image-schematische Metapher bezeichnet. Diese Metaphern sind auch in der Sprache instanziiert, etwa in einer Äußerung wie „Die Inflation steigt immer weiter“. Die Verfügbarkeit der image-schematischen Metaphern in der Sprache erlaubt nun den Zugang zu den unbewussten image-schematischen Repräsentationen abstrakter Aufgabenbereiche der Benutzer. Die Metaphern können für die Schnittstellengestaltung genutzt werden, im Falle von MEHR IST UP– WENIGER IST DOWN beispielsweise für einen vertikalen Schieberegler zur Lautstärkesteuerung. Ist die Umsetzung in der Benutzungsschnittstelle konträr zur image-schematischen Metapher, so funktioniert das Nutzungskonzept nicht intuitiv. Um solche Fehler zu vermeiden, wurden mit der IBIS-Methode Image Schemata erstmals systematisch und ingenieursmäßig in einen nutzerzentrierten Anforderungs- bzw. Designprozess gemäß ISO 9241-210 (DIN EN ISO 9241-210) integriert (Hurtienne 2011, Löffler et al. 2012) und dadurch für die Softwareentwicklung anwendbar gemacht.

Didaktische Konzeption des Tutorials

In dem halbtägigen Tutorial werden alle Aktivitäten der IBIS-Methode kurz vorgestellt und es werden prototypische Gestaltungsbeispiele aus der praktischen Anwendung der Methode aufgezeigt und mit herkömmlichen Designlösungen verglichen. Die TeilnehmerInnen lernen die Analyse- und Gestaltungstechniken der Methode kennen und führen diese anhand von Übungsbeispielen aus verschiedenen Anwendungsfeldern unter Anleitung durch. Im Einzelnen umfasst dies die image-schematische Analyse eines Benutzerinterviews, die Ableitung image-schematischer Metaphern sowie die Erstellung von Scribbles bzw. Entwürfen für Papierprototypen nach den Vorgaben der image-schematischen Metaphern. Die TeilnehmerInnen stellen die von ihnen entwickelten Konzepte anschließend gegenseitig vor. In der Schlussdiskussion bewerten sie die Anwendbarkeit der IBIS-Methode sowie mögliche Vor- und Nachteile. Somit erfahren die TeilnehmerInnen am Beispiel einer konkreten Anwendungsdomäne, wie sich Image Schemata identifizieren und im Softwareengineering-Prozess einsetzen lassen.

Durchführende

Hartmut Schmitt, Koordinator Forschungsprojekte bei der HK Business Solutions GmbH; seit 2006 Verbundvorhaben im Umfeld Mensch-Computer-Interaktion, Usability/User Experience und Software-Engineering; Schwerpunkte: Anwendung der IBIS-Methode (Requirements Engineering, kontextuelle Benutzerinterviews, Image-Schema-Analyse), Transferprodukte.

Steffen Hess, Teamleiter User Experience am Fraunhofer IESE; seit 5 Jahren in den Schwerpunkten Anforderungserhebung, UX-Evaluation, UX-Konzeption, Projektmanagement mit Schwerpunkt Mobile UX tätig.

Jörn Hurtienne, seit 2011 Professor für Psychologische Ergonomie der Universität Würzburg, Studium der Psychologie an der Humboldt Universität zu Berlin und Promotion in Ingenieurwissenschaften an der Technischen Universität in Berlin. Schwerpunkte: Gestaltung intuitiver Benutzbarkeit, Inclusive Design, Gestaltung von Wissensarbeit.

Die Methode wurde im Rahmen des BMBF-geförderten Forschungsprojektes „IBIS – Gestaltung intuitiver Benutzung mit Image Schemata“ (FKZ 01IS11017) entwickelt, von mehreren Partnern angewendet und erfolgreich evaluiert (Fetzer et al. 2013). Die Konzepte des Tutorials wurden bereits mehrfach erfolgreich erprobt (World Usability Day Mannheim 2012, diverse Lehrveranstaltungen und Firmenworkshops). Zahlreiche Transferprodukte, z.B. ein Methodenhandbuch mitsamt Arbeitshilfen, stehen als Downloads unter www.ibis-projekt.de zur Verfügung. Das eingereichte Tutorial wurde bei der Mensch & Computer 2013 angenommen, musste aber krankheitsbedingt abgesagt werden. Die Referenten würden sich daher freuen, das Tutorial auf der diesjährigen Fachtagung durchführen zu können.

Literaturverzeichnis

DIN EN ISO 9241-210 (2011). Ergonomie der Mensch-System-Interaktion – Teil 210: Prozess zur Gestaltung gebrauchstauglicher interaktiver Systeme. Beuth, Berlin.

Fetzer, K., Heß, A., Lange, K., Löffler, D., Maier, A., Schmitt, H. & Weber, S. (2013). Schlussbericht des Vorhabens Gestaltung intuitiver Benutzung mit Image Schemata. Verfügbar online: www.ibis- projekt.de.

Hurtienne, J. (2011). Image schemas and design for intuitive use. Exploring new guidance for user interface design. Unveröffentlichte Dissertation, TU Berlin.

Johnson, M. (1987). The body in the mind: The bodily basis of meaning, imagination, and reason. Chicago: University of Chicago Press

Löffler, D., Hurtienne, J. & Maier, A. (2012). Die Brücke zwischen Anforderungen und Design schlagen – Mit Hilfe von Image Schemata Gestaltungsentscheidungen systematisch treffen. German UPA 2012, Konstanz.